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Enerige & Management > Aus Der Aktuellen Ausgabe - „Entscheidend ist jetzt Tempo“
Quelle: E&M
AUS DER AKTUELLEN AUSGABE:
„Entscheidend ist jetzt Tempo“
Im Sommerinterview stellt sich Stefan Kapferer den Fragen von E&M. Er ist CEO des Übertragungsnetzbetreibers 50 Hertz, der heute den höchsten Anteil erneuerbarer Stromeinspeisung hat.
 
E&M: Wie gelingt es 50 Hertz, mit teilweise mehr als 100 Prozent Sonnen- und Windstrom umzugehen?

Kapferer: In erster Linie haben sich die Fertigkeiten und Fähigkeiten der Kolleginnen und Kollegen in unserer Leitwarte, dem Control-Center, enorm weiterentwickelt. Wir arbeiten ständig daran, unsere Prognose- und Steuerungstools und damit die der Systemsteuerung vorgelagerten Prozesse zu verbessern und an das veränderte Erzeugungsprofil anzupassen.

Die Regelzone von 50 Hertz ist traditionell eine Exportzone. Überschüsse fließen dorthin, wo es Mangel gibt. In Zukunft müssen wir aber immer mehr flexible Lasten ins System integrieren, um die Systemstabilität gewährleisten zu können. Das ist der nächste große Schritt der Energiewende.

Heute ist ein zentrales Problem die netzdienliche Steuerung von EE-Anlagen. 50 Hertz hatte letztes Jahr jede fünfte Stunde 100 Prozent oder mehr Erneuerbare im System. Beim derzeit beschleunigten PV-Ausbau wird die Zahl der Stunden, in denen wir die 100 Prozent überschreiten, weiter zunehmen. Wenn wir den Strom weder speichern noch transportieren können, müssen wir ihn im schlimmsten Fall abregeln. Das wäre das letzte Mittel, um das System zu schützen. Daher müssen Netz- und Speicherausbau und Flexibilisierung mit dem EE-Ausbau mithalten können.

E&M: Wie weit sind Sie denn mit dem Netzausbau?

Kapferer: Wir kommen immer besser voran. Wir haben letztes Jahr insgesamt rund 550 Kilometer an Genehmigungen bekommen, onshore und offshore. Wir haben 180 Kilometer im selben Zeitraum gebaut. Die Änderungen im Gesetzgebungsverfahren haben zu einer Beschleunigung geführt, beispielsweise der Wegfall der Bundesfachplanung oder das neu eingeführte Präferenzraumverfahren.
Neben den Genehmigungsverfahren spielen jetzt andere Faktoren eine wichtige Rolle: Wie schnell kriegen wir die technischen Komponenten, die wir brauchen? Auf einen Transformator wartet man inzwischen bis zu fünf Jahre, weil die Nachfrage bei den Herstellern weltweit hoch ist. Ganz besonders deutlich wird es bei den Offshore-Anbindungen, wo die Zahl an Werften für den Plattformbau sehr limitiert ist. Lieferketten- und Beschaffungsfragen haben das Genehmigungsprozedere als Flaschenhals abgelöst.

E&M: Welche Beschleunigungsmaßnahmen der Bundesregierung brauchen Sie noch?

Kapferer: Nach der gelungenen Beschleunigung bei den Genehmigungen sollte sie jetzt industriepolitisch alles tun, um die Beschaffungsvorgänge auch unter Kostengesichtspunkten zu optimieren. In engen Märkten steigen die Preise. Und wenn die gesetzlich definierten Liefertermine eng beieinander liegen, hat das natürlich auch Auswirkungen auf die Kosten. Daher sollte die Bundesregierung gemeinsam mit der Branche alles daransetzen, die Kosten des Netzausbaus insgesamt zu senken.

E&M: Im Interview in der letzten E&M-Ausgabe sagte der Präsident der Bundesnetzagentur Klaus Müller, man hätte schon im letzten Herbst entscheiden müssen, wieder Freileitungen zu bauen statt der teuren Erdkabel. Macht eine Änderung noch Sinn?

Kapferer: Zu spät ist es nicht, denn die drei in Rede stehenden Gleichstromprojekte DC 40, 41 und 42 müssen im Bundesbedarfsplangesetz erst noch verankert werden. Das sind Projekte, die erst in der zweiten Hälfte der 2030er-Jahre fertig sein müssen. Wir hören, dass die Bundesregierung am Erdkabelvorrang festhält, aber das parlamentarische Verfahren im Bundestag beginnt nach der Sommerpause. Am Ende können und müssen wir ÜNB mit jeder Entscheidung leben. Aber die Freileitung hat deutliche Kostenvorteile, allein bei den drei genannten Leitungen könnte man rund 20 Milliarden Euro einsparen.

E&M: Die Netzentgelte steigen durch die Ausbaukosten und der geplante Staatszuschuss von 5,5 Milliarden Euro ist dem Sparen zum Opfer gefallen. Was ist der Ausweg?

Kapferer: Wie so oft beim Thema Energie: Es gibt nicht eine Antwort darauf, wie die Strompreise sinken können. Erstens: Ist die steuerliche Belastung des Stromverbrauchs noch zeitgemäß? Die Stromsteuer hieß ursprünglich Ökosteuer und sollte vor allem dazu dienen, CO2 aus der Verstromung fossiler Brennstoffe zu reduzieren. Wir haben aber bei uns im Netzgebiet inzwischen einen Anteil von 75 Prozent Ökostrom, bundesweit sind es rund 55 Prozent. Warum müssen die Stromkunden auf jede Kilowattstunde trotzdem zwei Cent zahlen? Diese Diskussion muss man innerhalb der Bundesregierung und mit dem Bundesfinanzminister führen. Es geht hier um knapp sieben Milliarden Euro Belastung für Wirtschaft und Verbraucher.

Zweitens: Ich rechne angesichts der schwierigen Haushaltsberatungen nicht damit, dass ein Bundeszuschuss zu den Netzentgelten in dieser Legislaturperiode noch kommt. Aber es bleibt weiterhin politisch zu klären, warum über die Stromrechnung, die ja eigentlich eine Rechnung über den Bezug von Kilowattstunden ist, zum Beispiel Redispatch-Maßnahmen mitfinanziert werden müssen.
Drittens wird inzwischen auch ein Anreiz- und Sanktionssystem bei den Netzanschlüssen diskutiert. Derzeit hat jeder, unabhängig von der Netzsituation vor Ort, das Recht auf einen Netzanschluss. Bei Privatleuten ist das unproblematisch, aber zum Beispiel bei einem Rechenzentrum reden wir über den Stromverbrauch einer mittelgroßen bis großen Stadt. Daher sollte es belohnt werden, wenn es eine Ansiedlung dort gibt, wo es keine Netzengpässe gibt und wo die Netzinfrastruktur schon ausgebaut ist. Ich finde, das ist eine vernünftige Debatte.

Und ein vierter Baustein könnte das von Minister Habeck immer wieder in die Diskussion gebrachte Amortisationskonto sein, um die Kosten des Netzausbaus auf der Zeitachse sinnvoller zu verteilen. Diese Kosten sind in den kommenden 10, 15 Jahren wegen der Investitionen in das Klimaneutralitätsnetz relativ hoch, aber flachen danach deutlich ab. So etwas lässt sich vielleicht auch jenseits der Verschuldungsgrenze organisieren, ich hoffe da auf Vorschläge vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWK).

E&M: Wie bewerten Sie die Vorschläge des BMWK zum neuen Strommarktsystem und zur Kraftwerksstrategie?

Kapferer: Entscheidend ist jetzt Tempo bei der Umsetzung. Die konkreten Ausschreibungsdetails müssen schnellstmöglich vorgelegt werden. Besonders wichtig ist, dass die Kraftwerke dort gebaut werden, wo sie das Stromnetz entlasten können. Dies sollte über eine sogenannte lokale Komponente gewährleistet werden. Mit einer solchen Regionalisierung der Kraftwerke lassen sich die Kosten für den Netzausbau und die Stabilisierung des Netzbetriebs senken.

Die Kraftwerksstrategie allein wird jedoch nicht reichen, um dauerhaft System- und Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Es braucht mit Blick auf die Zeit nach 2030 zusätzliche Anreize für neue gesicherte Leistung. Deshalb ist die von der Bundesregierung geplante Schaffung eines Kapazitätsmarktes so wichtig. Aus unserer Sicht sollte der Ansatz eines zentralen Kapazitätsmarktes gewählt werden. Dieses Modell haben andere europäische Länder wie beispielsweise Belgien bereits eingeführt.

E&M: Wie sicher ist künftig die Stromversorgung bei immer mehr volatiler Erzeugung?

Kapferer: Durch den Stromaustausch in Europa über Interkonnektoren können wir ein hohes Maß an Sicherheit aufrechterhalten. Das europäische Stromverbundnetz funktioniert umso besser, je stärker es vermascht ist. Die neu gewählte EU-Kommission muss sehen, wie sie Tendenzen einer energiepolitischen Renationalisierung gegensteuert. Sie könnte festlegen, dass europäische Fördermittel nur für Projekte bewilligt werden, an denen mehrere Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind.

E&M: Minister Habeck sieht uns auf Kurs für die Klimawende und für den Klimaschutz. 50 Hertz kann ja schon 100 Prozent erneuerbaren Strom übertragen, müssen da deutschlandweit noch einige Stellschrauben gedreht werden?

Kapferer: Es ist ja klar, dass eine solche Transformation niemals reibungslos läuft und immer wieder nachgesteuert werden muss. Dazu ist es technisch, regulatorisch und politisch viel zu komplex. Gerade deshalb sollten wir nicht immer nur meckern, was gerade mal wieder nicht so gut läuft, sondern das Positive mit einem gesunden Selbstbewusstsein betrachten. Deutschland emittiert heute weniger CO2 als die alte BRD und die DDR zusammen in den 1950er-Jahren. Der Wert ist so niedrig wie nie zuvor in den vergangenen 70 Jahren. Und in diesem Zeitraum sind wir trotzdem wirtschaftlich an die Weltspitze gekommen und haben unseren Wohlstand vermehrt. Wie viele andere Länder können das von sich behaupten? Insofern bin ich absolut bei Robert Habeck, dass Energiewende und Klimaschutz grundsätzlich auf dem richtigen Weg sind. Aber dieser Weg ist steinig und die Kosten sind jetzt das vorrangige Thema.
 
Stefan Kapferer, CEO 50 Hertz
Quelle: Jan Pauls Fotografie
 

Susanne Harmsen
Redakteurin
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Freitag, 06.09.2024, 09:01 Uhr

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